Ihre Augen blitzen vergnügt und schon bei der Begrüßung und den Gratulationen stellt Hildegard Faupel schmunzelnd klar: „Also, ich bleibe auch noch hier!“ 103 Jahre alt ist sie gerade geworden und damit ist sie die älteste Wermelskirchenerin!
Für ihren 103. Geburtstag, hat sie sich extra schick gemacht hat und auch die Süßwasserperlenkette umgelegt, die sie von ihrem zweiten Ehemann Bernhard geschenkt bekommen hat. „Mein Bernhard war so ein lieber Mann und uns waren 20 wunderbare Jahre miteinander vergönnt worden, bevor er 1984 gestorben ist.“
Wenn sie erzählt, gestikuliert und ihre Gegenüber mit wachen Augen anschaut, mag man nicht glauben, dass die freundliche Dame vor über 100 Jahren als Hildegard Nowak in dem kleinen Örtchen Woitzdorf zur Welt gekommen ist. Sie liebt Kreuzworträtsel und Handarbeit. „Bis letztes Jahr habe ich immer ganz viel gehäkelt. Da machen die Finger jetzt nicht mehr mit.“ Dennoch hat sie kleine Geschenke für die Besucher: kleine Täschchen, die sie „vorgehäkelt“ hat. „Die Damen machen da Taschentücher rein, weil es hübscher aussieht und Herren Bonbons.“
Trotz aller Schicksalsschläge, die sie erleben musste, erzählt sie von einem schönen und guten Leben. Vielleicht, weil sie sich Zeit ihres Lebens an den Haussegensspruch von 1900 gehalten hat, den ihre Mutter Anna immer zitiert hat und den auch sie bis heute gern zitiert: „Mag draußen die Welt ihr Wesen treiben, mein Heim soll meine Ruhestatt bleiben.“
Ein altes Foto ihrer Eltern Anna und Johann hängt an der Wand in ihrem Zimmer im Carpe Diem. Und Fotos mit ihrer Schwester Else, dem Haus der Familie und der drei Söhne ihres Stiefbruders. „Meine Eltern haben Konrad 1931 als Pflegesohn zu sich genommen“, erzählt Hilde Faupel. Um dessen drei Söhne hat sie sich später wie eine Mutter gekümmert.
An die alten Zeiten erinnert sie sich noch gut. Ihre Kindheit im 200-Seelen-Dorf Neudorf, wo der Papa eine Doppelhaushälfte für die Familie gebaut hatte. Es war eine glückliche Kindheit, sagt sie. Der Familie ging es gut. Sie hatten einen Gemüsegarten und deshalb immer genug zu essen, drei Ziegen, zwei Schweine, 15 Hühner und fünf Gänse, die Hilde und Else hüten mussten. Hilde hat der Mama im Haushalt geholfen und vor allem Wäsche waschen auf dem alten Waschbrett geliebt. Ihr Lehrer an der Schule, in der in einer Klasse alle Kinder des Örtchens unterrichtet wurden, war Herr Schmidt. Dessen Ehefrau hat den Mädchen nähen und häkeln beigebracht. „Die Kleider für unsere Püppchen haben wir selbst genäht.“
Ihre Lehre als Verkäuferin absolvierte sie bei der Zeitung „Deutsche Ostwarte“ in Bernstadt, verkaufte dort Bücher und Schreibwaren. Als sie 1940 für ein halbes Jahr zum Arbeitsdienst nach Guttentag in Oberschlesien geschickt wurde, traf sie dort ihre erste große Liebe. „Wir Mädchen haben auf der Straße eine Gruppe junger Soldaten getroffen“, erinnert sich die alte Dame. Einer sei ihr besonders aufgefallen, „weil er so gut aussah und sein Lächeln war umwerfend!“ Sie schenkte dem unbekannten Soldaten damals Dahlien, die sie im Arm hatte. Und Willi Scheer, so lautete sein Name, steckte ihr seine Adresse zu.
Es war der Beginn einer wunderbaren Brieffreundschaft. „Und dann stand er plötzlich in dem Laden in Oswarte vor mir und ich wollte ihm erst Briefpapier verkaufen, bis ich ihn erkannt habe.“ 1942 hat das Paar geheiratet. „Wir wurden mit einer Kutsche zum Standesamt gebracht. Willi hat mir einen wunderschönen Strauß roter Rosen geschenkt. Als Festessen gab es im Haus meiner Eltern Braten mit Klößen und nachmittags Buttercremetorte und Streuselkuchen.“
Selbst eine kurze Hochzeitsreise konnten sie unternehmen: nach Remscheid zu Willis Eltern, damit Hilde ihre Schwiegereltern kennenlernt. Vielleicht hatte Willi Scheer schon eine Vorahnung. Denn: „Er hat immer zu mir gesagt: Wenn etwas passiert, dann geh zu meinen Eltern nach Remscheid.“
Drei Jahre später kam der Tag, an dem die junge Frau mit ihrer Familie aus Schlesien fliehen musste. Es war der 20. Januar 1945. Ein bitterkalter Tag, an dem man den Atem der Pferde silbrigweiß sehen konnte. Alle Bauern hatten ihre Pferdewagen angespannt. „Die Alten und Kranken durften mitfahren, alle anderen sind gelaufen. Es war ein langer, harter Weg bis nach Remscheid. „Wir waren so froh und glücklich, dass meine Schwiegereltern uns erstmal aufgenommen haben, bis wir eine Wohnung in der Nähe gefunden hatten.“
Auf Nachricht ihres Ehemannes Willi wartete Hildegard zu der Zeit schon lange. Und vergeblich. „Aber ich habe 20 Jahre lang nie die Hoffnung aufgegeben, dass mein Willi doch irgendwann in Remscheid ankommen würde. Seit 1945 galt er als vermisst. Aber in meinen Träumen stand er einfach irgendwann vor unserer Tür und hat mich in den Arm genommen“, erklärt sie, warum kein anderer Verehrer nach dem Krieg eine Chance bei ihr hatte, wenn sie mit ihren Freundinnen zum Tanztee im Café Wild oder zum Tanzen in das Lokal Eifgen gegangen ist.
Schnell fand sie damals einen Job als Zeitungsbotin für den Remscheider Generalanzeiger. Von 1946 bis 1963 hat Hildegard Faupel nahezu täglich die Zeitung an 300 Abonnenten verteilt. „Meistens bin ich mit dem Fahrrad gefahren.“
Über die Arbeit lernte sie auch ihren zweiten Ehemann kennen. Als sie eines Tages bei einer Abonnentin das Zeitungsgeld kassierte, sagte diese nämlich: „Frau Scheer, Sie haben doch keinen Mann und ich kenne da jemanden, der keine Frau hat. Vielleicht möchten Sie ihn kennenlernen? Kommen Sie doch morgen zum Kaffee vorbei.“ An der Kaffeetafel saß auch Bernhard Faupel: „Als wir uns in die Augen geschaut haben, war er mir sofort sympathisch. Wir sind einige Male ausgegangen, dann wurden wir ein Paar und ich war sehr glücklich“, erinnert sich Hildegard, die ihren „lieben Bernhard“ 1964 heiratete.
„Ich hatte ein gutes Leben“, sagt sie. „Und ich hatte Glück, denn ich habe mein ganzes Leben noch nie richtige Schmerzen gehabt.“ Erst vor vier Jahren hat sie das Familienheim in Remscheid verlassen, um in die Nähe von Nichte Monika Schwerdt nach Wermelskirchen ins Carpe Diem zu ziehen. „Meine liebe Moni kommt dreimal in der Woche zu mir und dann rätseln wir“ sagt sie
Im Carpe Diem hat sie jetzt zum ersten Mal in ihrem Leben Pommes Frites probiert. „Da musste ich 103 werden, bis ich mich das getraut habe – und die Pommes waren lecker“, gibt sie fröhlich zu. Zuvor kamen ihr nur Salzkartoffeln oder Kartoffelsalat auf den Teller. „Wiener Würstchen und Kartoffelsalat liebe ich“, verrät Hildgard Faupel.
Das Geheimnis für ein langes Leben ist in ihren Augen leicht: „Kreuzworträtsel, die den Kopf fit halten und Zufriedenheit! Zufriedenheit macht glücklich. Und es ist wichtig, immer alles in Ruhe zu besprechen und nicht zu streiten.“
Fotos: Stadt Wermelskirchen / Kellermann